Ein Telemedizinzentrum (TMZ) ermöglicht die Versorgung von Patient*innen mittels Telemedizin. Ein TMZ verfolgt somit das Ziel medizinische Leistungen der Diagnostik und Therapie über räumliche Entfernungen hinweg mittels elektronischer Gesundheitsdienste möglichst zeitnah zu erbringen. Der Aufbau von telemedizinischen Zentren nimmt derzeit in Deutschland Fahrt auf1. Welche Potenziale sich daraus ergeben und wie die Abläufe definiert sind, wird im Folgenden erklärt.

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Potential von telemedizinischen Dienstleistungen

Telemedizinische Dienstleistungen können die wachsende Lücke zwischen Behandlungsbedarf und aktuellem Versorgungsangebot schließen. Telemedizinzentren spielen hierbei eine zentrale Rolle, da sie eine flächendeckende und zeitnahe Patientenversorgung unterstützen.

Beim Telemonitoring geht es um die Überwachung des Gesundheitsstatus einer Patientin oder eines Patienten auf digitalen Kommunikationswegen zum Zweck der medizinischen Diagnostik, Therapie und Überwachung mithilfe von externen oder implantierten Geräten.

Aus medizinischer Sicht ist die frühzeitige Erkennung einer Verschlechterung des Gesundheitszustands bei Herzinsuffizienzpatient*innen sowie die rechtzeitige Einleitung von therapeutischen Maßnahmen sinnvoll. Beides ist durch Telemonitoring machbar. Wissenschaftliche Evidenz hierzu liefern etwa die TIM-HF-2-Studie2 und die IN-TIME-Studie3, welche eine signifikante Verminderung der Gesamtmortalität und Hospitalisationsdauer durch die Patient*innenbegleitung mit hoch strukturiertem Telemonitoring zeigen konnten.

Auch für weitere Indikationen könnte sich Telemonitoring als sinnvoll erweisen. So gaben in einer von Wurzer, Spielhagen et al. durchgeführten Studie etwa 90 Prozent der eingewiesenen COVID-19-Patient*innen an, dass sie die Hospitalisierung weiter hinausgezögert hätten, wenn sie nicht an der Studie teilgenommen hätten4. Mithilfe von Im-Ohr Sensoren wurden die Vitalparameter der Studienteilnehmer während des Erkrankungszeitraums fernüberwacht und bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes frühzeitig medizinisch betreut. Dass Telemonitoring mittels externer Sensorik, insbesondere für die Überwachung von COVID-19-Patienten, eine vernünftige Lösung darstellen kann, legt auch die vom Klinikum rechts der Isar (Technische Universität München) durchgeführte TELECOVID-Studie nahe5.

Neben zuverlässiger Daten der fernüberwachten Patient*innen ist für ein wirksames Telemonitoring aber auch ein strukturiertes, therapeutisches Handeln auf Basis von geregelt wahrgenommener diagnostischer Information entscheidend. So stellt im Sinne des “Remote Patient Management” eine telemedizinisch unterstützte, strukturierte, vernetzte und meist intersektoral verankerte Versorgung die Voraussetzung für die Wirksamkeit telemedizinischer Konzepte dar6.

Telemedizinische Zentren als neue Leistungserbringer

Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung sieht die Etablierung von telemedizinischen Zentren als Leistungserbringer als entscheidend zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung7. Angetrieben durch die seit 2022 bestehenden Möglichkeit der EBM-Abrechnung von Telemonitoring bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz werden derzeit Telemedizinzentren aufgebaut (siehe Liste unten).

Die telemedizinische Betreuung der Patient*innen setzt eine Kooperation zwischen Ärzt*innen, die die Patienten primär behandeln (PBA) und Therapieentscheidungen treffen (bspw. Hausärzt*innen, Kardiolog*innen) und einem telemedizinischen Zentrum voraus. Das neu abrechenbare Telemonitoring erfolgt über telemetriefähige implantierte Geräte, wie Ereignisrekorder, Herzschrittmacher, implantierbare Kardioverter/Defibrillatoren und Implantate zur kardialen Resynchronisation oder über externe Sensorik, wie Blutdruckmessgeräte und Körperwaagen, Elektrokardiogramme oder medizinische Wearables (bspw. Im-Ohr Sensoren).

Organisatorische Verankerung der Telemedizinzentren

Wie sich Telemedizinzentren organisatorisch verankern lassen, d.h. wer die telemonitorische Leistung durchführt, kann in unterschiedlichen Formen geregelt werden (siehe Abb. 1). So kann das TMZ als externer Dienstleister in Erscheinung treten. In diesem Fall handelt es sich um ein juristisch und wirtschaftlich eigenständiges Unternehmen. Daneben kann das TMZ in einem Krankenhaus verankert sein. Hier besteht eine fachliche und organisatorische Verbindung zwischen den beiden Instanzen. Als dritte Form kann das TMZ durch ein Ärztenetzwerk, das aus einer Vereinigung von niedergelassenen Haus- und/oder Fachärzten besteht, betrieben werden.8

Ablauf des Telemonitorings mit Telemedizinischen Zentren

Das TMZ ist für die Anleitung und Aufklärung der Patient*innen zum Telemonitoring und Gebrauch der eingesetzten Geräte sowie für deren technische Ausstattung zuständig. Das Gerät, das die Vitalparameter der Patient*innen erfassen, übermittelt die Daten an das zuständige TMZ. Dort werden die Daten auf einer elektronischen Plattform gespeichert und von medizinischem Personal mit Rückgriff auf Anamnesedaten wie Alter, Geschlecht, Begleitkrankheiten, Risikofaktoren und Medikationen fachlich bewertet. Bei einem auffälligem Befund tritt das TMZ je nach Schweregrad entweder innerhalb von 24 Stunden in Kommunikation mit der/dem behandelnden Ärzt*in und Patient*in selbst oder kann die Patient*in direkt in stationäre Behandlung einweisen. Auf diese Weise soll ein möglichst zeitnahes Eingreifen stattfinden, damit eine Verschlechterung der Erkrankung und eine mögliche stationäre Behandlungsnotwendigkeit verhindert werden können (siehe Abb. 1).

Die Aufgaben eines TMZ können ausschließlich qualifizierte Kardiolog*innen übernehmen.

Informationsprozess bei telemedizinischer Betreuung

Abb. 1: Informationsprozesse bei telemedizinischer Betreuung.
Copyright: Thomas M. Helms, Christian A. Perings et al. (2021): Positionspapier zur Zertifizierung von Telemedizinzentren. In: Kardiologe https://doi.org/10.1007/s12181-021-00522-4, Angenommen: 24. November 2021.

Abrechnung der telemedizinischen Leistungen

Wie eingangs beschrieben, beschränkt sich das Angebot von abrechenbaren Leistungen des Telemonitorings bis dato auf Patient*innen mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz (NYHA-II oder -III)9. Weitere telemedizinische Leistungen sollen zukünftig in die Leitlinien sowie den Leistungskatalog der Krankenkassen und somit in die Regelversorgung aufgenommen werden.

Rechenbeispiel anhand eines fiktiven Anwendungsfalls

Generell findet die GOP-Abrechnung von telemedizinischen Leistungen extrabudgetär statt und wird somit zu festen Preisen honoriert. Im Folgenden wird ein Abrechnungsbeispiel für die telemedizinische Betreuung eines Patienten mit einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz für ein Quartal dargestellt. In diesem Fallbeispiel wird angenommen, dass der Patient an einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz leidet. Der primär behandelnde Arzt (PBA) führt die Untersuchung und Indikationsstellung durch. Der Patient erhält im Rahmen der telemedizinischen Betreuung ein externes Messgerät zur Überwachung der Herzfrequenz. Hierfür übernimmt der PBA die Anleitung des Patienten zum Gebrauch des eingesetzten Geräts und zu den relevanten Aspekten des Selbstmanagements. Der PBA tauscht sich mit dem zuständigen TMZ aus. Zu den Aufgaben des TMZ gehört es u.a. Warnmeldungen, die einen Handlungsbedarf mit sich ziehen, zu sichten und nicht beurteilbare Befunde erneut abzuklären. Bei Warnmeldungen mit möglichem ärztlichem Handlungsbedarf informiert das TMZ den PBA noch am selben Tag.

Zu beachten: In diesem fiktiven Beispiel wird der Versuch unternommen eine möglichst praxisnahe Berechnung vorzunehmen. Aufgrund der Neuartigkeit und sich derzeit noch verändernden Umstände in der Abrechnung der telemedizinischen Leistungen, können an dieser Stelle keine verbindlichen Berechnungen getroffen werden. Je nach vorliegenden Bedingungen können die Abrechnungen und somit die potenziellen Beträge deutlich variieren.

Telemedizinische Betreuung von Patienten mit einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz

GKV: GOP-Abrechnung Telemonitoring Herzinsuffizienz (Allgemeinmediziner)

Abrechnungen des PBA

  • Indikationsstellung (15 Minuten): 7,32 EUR10 x 3 = 21,96 EUR
  • Kommunikation mit dem verantwortlichen TMZ: 14,42 EUR

Der PBA kann in diesem gezeigten Beispiel telemedizinische Leistungen in Höhe von 36,38 EUR abrechnen.

Abrechnungen des TMZ

  • Anleitung und Aufklärung: 10,70 EUR
  • Telemonitoring mittels externer Messgeräte: 236,59 EUR
  • Wochenendzuschlag (externes Messgerät): 26,48 EUR
  • Geräteausstattung des Patienten (Pauschale): 68,00 EUR

Das TMZ kann telemedizinische Leistungen von 341,77 EUR abrechnen.

Zudem gibt es eine Aufwandserstattung für die Genehmigungsprozesse der Vertragsärzte für die Krankenversicherung (“Bürokratiekostenermittlung11”) von 26,35 EUR.

Eine detaillierte Aufstellung der einzelnen Positionen inkl. GOP-Ziffern, Punkten und Beträgen finden Sie hier: Telemonitoring bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz seit 2022 abrechenbar

Qualitätsicherung von Telemedizinzentren

Die Vereinbarung zur Qualitätssicherung des Telemonitorings bei Herzinsuffizienz ist noch nicht vorhanden und sollte laut der Arbeitsgruppe Telemonitoring der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie-, Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) dringend geregelt werden12. Die Arbeitsgruppe hat Vorschläge zu den grundlegenden Strukturmerkmalen eines TMZ veröffentlicht13. Zur Sicherung von Struktur- und Prozessqualität medizinischer Versorgung sollten die Arbeitsabläufe mit anerkannten Standards und Normen übereinstimmen. Gemäß der Vorschläge muss eine regelmäßige qualifizierte Beobachtung und Wahrnehmung von Alarmmeldungen aus dem Telemonitoring (ganzjähriger 24-h Service) gesichert werden. Ebenfalls gewährleistet werden muss eine evidenzbasierte, leitliniengerechte Therapie durch die primär behandelnden Ärzt*innen, die durch die am TMZ tätigen Fachärzt*innen für Kardiologie durch befundbasierte Interventionen ergänzt wird. Entscheidend zur Sicherung der Qualität der medizinischen Versorgung ist zudem eine angemessene Qualifikation des medizinischen Personals im TMZ und regelmäßige, fachspezifische Fortbildungen. Eine Regelung einer derartigen Zertifizierung ist demnach unausweichlich zur Sicherung der Qualität.

Darüber hinaus hebt die Arbeitsgruppe hervor, dass Prozessabläufe innerhalb eines TMZ zukünftig auch durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) verstärkt werden sollte14. Mithilfe eines entsprechenden Algorithmus ist bspw. die frühzeitige Erkennung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der daraus resultierenden frühzeitigen Entscheidungsfindung möglich (bspw. PolyScore der TELECOVID-Studie).

Welche Telemedizinzentren gibt es bereits?

Im Folgenden sind geplante und bereits in Betrieb genommene Telemedizinischen Zentren bzw. Anbieter von Telemedizinischen Leistungen in Deutschland und Österreich aufgelistet15. Hierunter fallen sowohl TMZ, die die EBM-Abrechnung von Telemonitoring bei Herzinsuffizienz nutzen als auch diejenigen, die Telemonitoring unabhängig davon anbieten.

cosinuss° arbeitet mit folgenden Anbietern von Telemedizinischen Dienstleistungen in Form von Studien und Pilotprojekten zusammen:

Telemedizinzentren in Betrieb:

TMZ, die EBM-Abrechnung von Telemonitoring bei Herzinsuffizienz nutzen:

TMZ, die Telemonitoring unabhängig von EBM-Abrechnung anbieten:

Anbieter von Infrastruktur und Services im Bereich Telemedizin

Dieser Artikel wurde das letzte Mal aktualisiert am: 29. Juni 2022

Authors

Quellen / References

  1. Stand: April 2022
  2. Köhler F, Köhler K, Deckwart O et al (2018) Efficacy of telemedical interventional management in patients with heart failure (TIM-HF2): a randomised, controlled, parallel-group, unmasked trial. Lancet392:1047–105
  3. Hindricks G, Taborsky M, Glikson M et al (2014) Implant-based multiparameter telemonitoring of patients with heart failure (IN-TIME): A randomised controlled trial. Lancet384:583–590
  4. Wurzer D, Spielhagen P, Siegmann A, Gercekcioglu A, Gorgass J, et al.: “Remote monitoring of COVID-19 positive high-risk patients in domestic isolation: A feasibility study”. PLOS ONE 16(9), 2021.
  5. M. Baldinger, et al.,“TELECOVID: Remote Vital Signs Monitoring of COVID-19 Risk Patients in Home Isolation With an In-Ear Wearable“ in IEEE Pervasive Computing, vol. 20, no. 02, pp. 58-62, 2021.
  6. Thomas M. Helms, Christian A. Perings et al. (2021): Positionspapier zur Zertifizierung von Telemedizinzentren. In: Kardiologe https://doi.org/10.1007/s12181-021-00522-4, Angenommen: 24. November 2021.
  7. POTENZIALE DER TELEMEDIZIN FÜR EINE BESSERE VERSORGUNG NUTZEN (2022): Positionspapier des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung e. V. (SVDGV) https://digitalversorgt.de/wp-content/uploads/2022/02/Positionspapier-Potenziale-der-Telemedizin.pd
  8. Thomas M. Helms, Christian A. Perings et al. (2021): Positionspapier zur Zertifizierung von Telemedizinzentren. In: Kardiologe https://doi.org/10.1007/s12181-021-00522-4, Angenommen: 24. November 2021
  9. Voraussetzungen für die Abrechnung der telem. Betreuung sind: Es liegt eine Herzinsuffizienz nach dem NYHA-II- oder NYHA-III-Stadium mit einer Ejektionsfraktion < 40 % vor. Der Patient ist Träger eines implantierten kardialen Aggregates (ICD, CRT-P, CRT-D) oder ist im zurückliegenden Jahr wegen kardialer Dekompensation stationär behandelt worden. Die Herzinsuffizienz wird leitliniengerecht behandelt. Es sind keine Faktoren erkennbar, die die Gewährleistung einer Übertragung der Monitoringdaten verhindern oder gefährden oder die das Selbstmanagement des Patienten behindern würden (https://www.kbv.de/media/sp/2020_12_17_RMvV_37_anerkannt_Telemonitoring_Herzinsuffizienz_BAnz.pdf ).
  10. Kann je vollendete fünf Minuten und maximal dreimal im Krankheitsfall berechnet werden.
  11. 2020-12-17_MVV-RL_Telemonitoring-Herzinsuffizienz_TrG.pdf [Internet]. [zitiert 11. April 2022]. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-7196/2020-12-17_MVV-RL_Telemonitoring-Herzinsuffizienz_TrG.pdf
  12. Thomas M. Helms, Christian A. Perings et al. (2021): Positionspapier zur Zertifizierung von Telemedizinzentren. In: Kardiologe https://doi.org/10.1007/s12181-021-00522-4, Angenommen: 24. November 2021.
  13. Helms TM, Stockburger M, Köhler F, Leonhardt V, Müller A, Rybak K et al. Grundlegende Strukturmerkmale eines kardiologischen Telemedizinzentrums für Patienten mit Herzinsuffizienz und implantierten Devices, Herzrhythmusstörungen und erhöhtem Risiko für den plötzlichen Herztod. Herzschrittmacherther Elektrophysiol 2019; 30(1): 136-142. AUS: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-7196/2020-12-17_MVV-RL_Telemonitoring-Herzinsuffizienz_TrG.pdf
  14. Thomas M. Helms, Christian A. Perings et al. (2021): Positionspapier zur Zertifizierung von Telemedizinzentren. In: Kardiologe https://doi.org/10.1007/s12181-021-00522-4, Angenommen: 24. November 2021.
  15. Stand: April 2022. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird fortlaufend erweitert.