Interview mit dem Höhenexperten Gerrit Glomser

Ob Bergbesteigung oder Marathon – in der Vorbereitung auf eine derartige Herausforderung kann es sinnvoll sein, sich nicht nur durch sportliches Training, sondern auch mithilfe von Höhentraining vorzubereiten. Mit der Frage welche Auswirkungen Höhe auf die Leistung unseres Körpers ausübt, beschäftigt sich seit über 30 Jahren Gerrit Glomser. Seine 2008 gegründete Firma GAIRRIT ist führender Anbieter von Equipment für Höhentraining- und diagnostik sowie dem Anlagenbau für Höhenkammern. Mit Ausdauersportlern führt er im Vorfeld von sportlichen Events spezielle Testmessungen durch und betreut sie im Verlauf der Anwendung von Höhensimulation zuhause. Welche Erkenntnisse er dabei bislang gewinnen konnte und welche Rolle die cosinuss° Im-Ohr Sensoren spielen, beantwortet er in diesem Interview.

Gerrit, wie bist du zu deiner jetzigen Tätigkeit gekommen?

Durch Zufall. 1991 durfte ich ein Schulaustauschjahr in Colorado (USA) absolvieren. In den Wochen nach meiner Rückkehr habe ich sowohl in Österreich – in allen Kategorien – als auch auf internationaler Ebene in der Kategorie Junioren spielend leicht in der Spitze des Radrennens mitgemischt. Es lag also nahe, dass die Höhe, der ich in den Bergen Colorados ausgesetzt gewesen war, ihre Finger im Spiel gehabt haben musste. Damals war mir das natürlich noch nicht bewusst. Je höher ich in der Kategorien-Leiter aufstieg – vom Junior zum Amateur, über U-23 in Italien bis hin zu den Profis – desto mehr stieg auch die Zahl meiner Höhentrainingslager. Stützpunkte waren Boulder und Allenspark in Colorado. Dort hatte meine Gastfamilie immer eine offene Tür für mich.

Welche Leistungen und Produkte bietet deine Firma GAIRRIT an?

GAIRRIT hat sich zum Full-Sortimenter in Sachen simulierter Höhe entwickelt. Von der Höhendiagnostik, dem Verleih von Höhensimulationssystemen, dem Monitoring während der simulierten Höhe zuhause bis hin zum Anlagenbau für spezielle Höhenkammern.

Was kann man sich unter Höhentraining – so wie du es anbietest – vorstellen?

GAIRRIT steht in erster Linie für simulierte Höhe. Ich bin überzeugt, dass der simulierten Höhe die Zukunft gehört. Sie ist in den eigenen vier Wänden jederzeit reproduzierbar und die Höhe lässt sich im Verlauf des Höhenblocks nachjustieren – je nachdem wie der Organismus den Reiz gerade braucht. Das ist terrestrisch nicht realisierbar.

Im Fokus steht bei GAIRRIT immer der Anwender. Es dreht sich alles um die individuelle Reaktion in Kombination mit zielgerichteter Nutzung und das bei voller Transparenz der Daten. GAIRRIT ist der erste und einzige Anbieter von Höhentraining, dem es möglich ist zu zeigen, wann der Kunde bei welcher Höhe die maximale Leistungssteigerung bzw. den Status des bestmöglichen, simulierten Vorakklimatisierens erreicht.

Gerrit Glomser im Interview mit cosinuss°

Wieso sind das Höhentraining und die Vorakklimatisierung so wichtig, wenn man bspw. eine Bergbesteigung oder ein sportliches Saisonziel plant?

Mit Höhentraining wird generell die Erwartungshaltung verbunden, dass durch die körpereigene Produktion roter Blutkörperchen die Leistung gesteigert werden kann. Die Veränderung der Leistung lässt sich nach einem Höhenaufenthalt mittlerweile leicht messen. Wattmesskurbeln am Rad identifizieren den Leistungssprung und diverse Apps helfen die Leistungssteigerung beim Laufen zu dokumentieren.

Die Leistung am Berg lässt sich am ehesten noch über zurückgelegte Höhenmeter pro Stunde definieren. Auch diese Höhenmeter pro Stunde sollten nach erfolgtem Höhentraining erwartungsgemäß mehr werden. Jedoch reagiert nicht jeder gleichermaßen auf Höhe! Höhentraining oder Vorakklimatisierung per se sind zunächst also weniger wichtig, als vielmehr das Wissen, ob der eigene Organismus mit diesem Reiz “Höhe” überhaupt etwas anzufangen weiß.

Welche Vitalparameter sollte ein Ausdauersportler langfristig und während des Sports deiner Ansicht nach im Blick behalten?

Das ist meiner Ansicht nach eine philosophische Frage, die sich jeder selbst beantworten muss. Je höher man an die Leistungsspitze kommt, desto mehr Facetten des eigenen Ichs sollte man kennen. Interessant ist es sicherlich einmal alle Werte näher unter die Lupe genommen zu haben. Aber nicht jeder Athlet profitiert von denselben gemessenen Parametern gleichermaßen. Ich halte es immer wie mit dem “Rosinen aus dem Teig picken”: Jeder soll so viele Erfahrungen machen, wie nur irgendwie möglich, die für sich voran bringenden Maßnahmen beibehalten und den Ballast „kübeln“. Über die Zeit können sich die individuellen Präferenzen natürlich ändern. Es gilt also immer mit wachem Auge durch die Welt zu gehen.

Unabhängig davon ist aber Fakt, dass alles was mit Höhe zu tun hat, sich in Pulsfrequenz und Sauerstoffsättigung widerspiegelt.

Du führst in einer eigenen Höhenkammer Tests mit Sportlern durch, um vorauszusagen, wie sie auf ein mögliches Höhentraining reagieren und wie viel Gewinn sie aus dem Faktor Höhe ziehen können. Wie bist du zu dieser Idee gekommen?

Seit 2005 betreue ich “Anwender von Höhe” in allen Facetten. Vom Industriekletterer, Filmer, Amateursportler, Bergsteiger, Ausdauerathlet, Bodybuilder, Paragleiter bis hin zum Profi-Athleten. Deren Reaktionsmuster ist so einzigartig wie unser aller Fingerabdruck. Das ist ganz unabhängig von Alter, Geschlecht und Fitness. Es gibt keine Muster. Jeder ist individuell anders in Bezug auf die Höhenreaktion. Die Stresssignatur eines jeden Anwenders sieht anders aus. Auf diese Aspekte ist im Verlauf der Höhenanwendung einzugehen. Wer schlecht auf Höhe reagiert, lässt sich bereits bei den Tests erkennen oder nach einem Tag im Höhenzelt.

Woran liegt das?

Das hängt mit der genetischen Disposition, die jemand mitbringt, zusammen. Höhe lässt sich zwar bis zu einem gewissen Grad „trainieren“. Diese Adaptionsfähigkeit ist jedoch sehr eingeschränkt. Mit meinen Tests und dem Monitoring kann ich klar belegen, dass es nicht am Training liegt, sondern genetische Merkmale dafür verantwortlich sind, ob jemand Höhe für sich nutzen kann oder nicht.

Bei meinen Tests ist das Besondere, dass ich diese unter Belastung durchführe. Warum? Seit 2004 vermiete ich die ersten Höhengeneratoren. Über Pulsoximetrie ließ ich damals meine Kunden regelmäßig morgens ihr Reaktionsmuster dokumentieren. Ich stellte fest: Alter, Geschlecht und Fitnessgrad hatten wenig Einfluss auf die Reaktion. Die Problematik morgendlicher Ruhemessungen ist einerseits beim Anwender zu suchen, andererseits in der verwendeten Technik. Ein standardisiertes Messen ist fast unmöglich. Vergleichbare Werte sind daher schwer als Maßgabe der Reaktion heranzuziehen. Dazu trägt die verwendete Technik noch ihre Ungenauigkeit bei: Handelsübliche Pulsoxymeter dürfen eine Schwankung von vier Prozent aufweisen! Die einzige Möglichkeit stabile Werte zu erhalten, sah ich daher unter Belastung. Prototypische Teststellungen haben das damals sehr schnell bestätigt und dann ging es auch gleich ans Verfeinern des Testprozederes.

Wie sieht dieses Testprozedere genau aus bzw. wie laufen diese Testmessungen ab?

Prinzipiell benötige ich einen Referenztest in Tallage mit – zeitlich versetzt – vergleichenden Tests in simulierter Höhe. Aus dieser Testpaarung lässt sich wunderbar eine Schlussfolgerung ziehen, wie gut jemand akut auf Höhe anspricht und welchen Nutzen jemand langfristig aus Höhentraining oder Vorakklimatisierung ziehen kann.

Im Ausdauersport simuliere ich nicht mehr als 1.800 m. In dieser moderaten Höhe provoziere ich jeden Athleten ausreichend, um meine Aussagen zielsicher treffen zu können. Ausdauersport und Höhe sind dabei eine verhältnismäßig starre Kombination. In 99 Prozent aller Fälle wenden Athleten Höhentraining für Wettkämpfe in Tallage an. Die Tests im Ausdauersport sind klassische Rampentests bis hin zur Ausbelastung.

Im Höhenbergsteigen ist die Matrix weitaus komplexer. Es geht nicht um Leistungssteigerung für eine Tallage, sondern ich sehe mich mit unterschiedlichen Reaktionsmechanismen für unterschiedliche Höhenstufen konfrontiert. Im Höhenbergsteigen geht es für mich mehr um Ökonomisierung in den einzelnen Stufen. Jeder adaptiert sich auf unterschiedliche Höhenstufen anders. Es gilt herauszufinden, welcher Alpinist welche Trainingsmaßnahmen bzw. Höheninterventionen benötigt, um sein alpines Ziel mit seiner Genetik bestmöglich zu erreichen. Es kann sich bei den Tests natürlich auch herausstellen, dass jemand höhenphysiologisch gar nicht für gewünschte Höhen geeignet ist. Auch das lässt sich durch meine Tests herausfiltern, d.h. wo die jeweils kritische Höhe liegt. Das geht sogar so weit, dass ich explizit sagen kann, wie viel Liter Sauerstoff jemand für welche Höhenlage braucht, um die Leistung auf einem akzeptablen Niveau halten zu können. Darüber hinaus kann ich jedem Expeditionsveranstalter klare Parameter benennen, wie die Leistung des Alpinisten sich in welchen Höhenlagen wie verhält und wie diese Leistung durch zusätzlichen Sauerstoff beeinflusst werden kann. Auf dem Berg dreht sich alles um Sicherheit. Sämtliche vorab bekannte Daten tragen meines Erachtens daher zu mehr Sicherheit bei.

Fotos: Testmessungen von Gerrit Glomser (GAIRRIT) auf dem cosinuss° Firmengelände.

Welche weiteren Erkenntnisse konntest du bislang aus deinen Testmessungen gewinnen?

Ich bin mit meiner Firma GAIRRIT längst einen nächsten Entwicklungsschritt weitergegangen. Die beschriebenen Testpaarungen sind der erste Baustein einer Trilogie. Ich validiere meine Prognosen durch Messungen des kompletten Anwendungszeitraums und kann so die Prognosen immer feiner justieren. Die Testpaarung per se ist nur die Abbildung eines Augenblicks. Die Aneinanderreihung täglicher Messungen ergibt Längsschnitte, die es in der Höhenanwendung bislang so nicht gibt. Dieses vom Anwender täglich durchzuführende Monitoring ist auf ein zeitliches Minimum beschränkt, liefert jedoch wertvolle Daten zur Leistungsentwicklung des einzelnen Anwenders. Die Genauigkeit meiner Prognosen liegt Dank der Technik und gemessenen Parameter bei etwa 90 Prozent. Die Längsschnitte helfen mir somit noch präziser in meinen Aussagen zu werden.

Gibt es viele Anbieter von Höhentraining, die mit solch technisch aufwändigem Equipment und der Messung mehrerer Vitalparameter arbeiten?

Im Normalfall findet der einfache Verleih von Equipment, um Höhe zu simulieren, statt. Hier basiert alles auf Erfahrung und niemand kann ausreichend messen. Meine Teststellungen und Zeitreihenanalysen sind meiner Ansicht nach dem Mitbewerb und der aktuellen Zeit weit voraus.
Ich arbeite an einer Fragestellung so lange, bis ich die Antwort dafür gefunden habe. Das setzt aber voraus, dass man sich tief mit der Thematik auseinandersetzt. Wenn man Höhe nicht aus Eigennutz und bis zur Perfektion praktiziert und Erfahrung über Jahrzehnte durch Kunden gemacht hat, sieht man nie die Ganzheit all der notwendigen Stellschrauben.

All das Interesse, all die Leidenschaft, die ich in meine Produkte stecke, wären aber nichts wert, wenn nicht auch Firmen ihren wesentlichen Beitrag zu meiner Entwicklung leisten. cosinuss° habe ich durch eine Annonce vor zehn Jahren kennen gelernt. In einer Fachzeitschrift stellte cosinuss° seine Im-Ohr Sensorik vor. Von Sauerstoffsättigung war zwar nicht die Rede, aber bei damals beschriebener Technik konnte ich mir gut vorstellen, dass die Implementierung dieses Parameters irgendwann einmal umsetzbar sein würde. In der Zwischenzeit hat mir cosinuss° für meine Tests Sensorik zum Messen von SpO2 zur Verfügung gestellt, damit ich meine ersten Tests durchführen kann und diese haben sich alsbald als goldrichtig erwiesen. Von da an haben wir unsere Partnerschaft intensiviert. Seit März 2022 statte ich jeden Kunden mit cosinuss° Im-Ohr Sensoren aus. Damit ist erstmals eine durchgängige Abbildung der Reaktion auf den gesetzten Höhenreiz messbar. Kombiniert mit meinen Tests und einem daran gekoppelten Monitoring kann ich meinen Athleten nun Punkt genau sagen a) WANN sie ihre maximale Leistungssteigerung durch Höhe erreichen, b) WIE lange dieser Prozess dauert und c) WELCHE Höhe dafür notwendig ist.

Was sind deine zukünftigen Pläne für die Firma GAIRRIT – und auch deine persönlichen?

Ich bin Perfektionist. Ich gehe erst immer dann mit Entwicklungen nach außen, wenn ich mir in Rücksprache mit Experten sicher sein kann, dass alles hieb- und stichfest scheint. Das Monitoring als Feedbackschleife zu meinen Testpaarungen muss ich noch perfektionieren. Die Technik dazu ist weit vorangeschritten. Das erlaubt den Blick in die Zukunft, der durch Bekanntgabe von bspw. möglicher Vorbereitungszeit, Ziel und Schlafverhalten Biofeedback gesteuerte Höhenanwendung auf das jeweilige Ziel hin ermöglicht. Das wird sehr viel mit künstlicher Intelligenz zu tun bekommen. All die jetzt gemachten Erfahrungen bringen mich diesem Ziel näher.
Privat steht ein 8000er auf meinem Plan. Mein Wunsch ist Dank all der Möglichkeiten im Vorfeld so vorakklimatisiert an den Berg zu kommen, dass ich am Tag nach der Ankunft im Basislager sofort auf den Gipfel durchsteigen kann. Round Trip vier Tage. Ich weiß, dass es möglich ist.

Author

  • Melanie Schade

    M.A. Kommunikationswissenschaft und Online-Marketing-Expertin mit Schwerpunkt auf Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation. // M.A. Communication Studies and online marketing expert with a focus on health and science communication.