Interview mit Michael Helbing über den Einsatz mobiler Patientenmonitoringtechnologie in extremer Umgebung
Isolation, erschwerter oder kein Zugang zur medizinischen Infrastruktur, extreme Umweltbedingungen und eingeschränkte Kommunikation machen jede Expedition zu einer organisatorischen und medizinischen Herausforderung. Michael Helbing, Notfallsanitäter und Pg.Dip. Wilderness & Expedition Medicine, hat Erfahrung in der Versorgung von Patient:innen in abgelegenen Regionen. Wir haben mit ihm über seine Arbeit in der Expeditionsmedizin, die damit einhergehenden Herausforderungen sowie die Potenziale, die das mobile Patientenmonitoring von cosinuss° bietet, gesprochen.

Über den Interview partner:
Michael Helbing, 44 Jahre alt, ist Berufsfeuerwehrmann und Notfallsanitäter mit nahezu 20 Jahren Berufserfahrung im boden- und luftgebundenen Rettungsdienst. Seit 2011 ist er bei der Berufsfeuerwehr Hamburg im Einsatz und engagiert sich zusätzlich als Ausbilder und Praxisanleiter für Notfallsanitäter sowie in spezialisierten Einheiten, darunter die Maritime Incident Response Group (MIRG) des Havariekommandos in Cuxhaven. Seine Qualifikationen umfassen internationale Zertifizierungen als Flight Paramedic (FP-C), Critical Care Paramedic (CCP-C) und HEMS Technical Crew Member (HEMS-TC). Zudem zahlreiche notfallmedizinische Fortbildungen in anerkannten Kursformaten. Ein Postgraduate Diploma in Wilderness & Expedition Medicine sowie internationale Weiterbildung und Hospitationen – unter anderem bei World Extreme Medicine und dem EURAC-Institut für alpine Notfallmedizin – erweitern sein Fachwissen gezielt für medizinische Einsätze unter schwierigen Bedingungen.
Wie wird man eigentlich “Experte für Expeditionsmedizin”? Gab es für Sie einen Schlüsselmoment?
Der Weg in die Expeditionsmedizin führt meist über die klassische Notfallmedizin – kombiniert mit einer persönlichen Leidenschaft für Natur, Abenteuer und das Arbeiten unter extremen Bedingungen, würde ich sagen.
Für mich gab es tatsächlich einen ganz konkreten Schlüsselmoment: Mein erster Aufenthalt in Afrika, genauer gesagt im Senegal. Die medizinischen Herausforderungen dort vor Ort, geprägt von begrenzter oder gänzlich fehlender Infrastruktur, haben mir eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig fundierte Kenntnisse in diesem Bereich sind.
Ähnliche Erfahrungen habe ich später auch in anderen Regionen gesammelt – zuletzt Anfang dieses Jahres im brasilianischen Hinterland. In solchen entlegenen Gegenden ist man im Notfall völlig auf sich allein gestellt.
Ein einfaches Erste-Hilfe-Set oder klassische notfallmedizinische Kenntnisse reichen dort schlichtweg nicht aus. Diese Erlebnisse haben mich dazu bewegt, mich intensiv und systematisch mit der Medizin in extremen Umgebungen auseinanderzusetzen, worauf hin ich beschlossen habe, mein PG Dip. in “Wilderness and Expedition Medicine” an der University of South Wales zu machen.
Wie sieht Ihr Alltag in der Expeditionsmedizin aus?
Einen festen Alltag im klassischen Sinne gibt es in der Expeditionsmedizin kaum.
Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit liegt aktuell auf der Ausbildung in Kursen mit Fokus auf Notfall- und Expeditionsmedizin im In- und Ausland sowie in der beratenden Tätigkeit – insbesondere in Vorbereitung von Reisen und Projekten in entlegene Regionen. Darüber hinaus bin ich regelmäßig in die Erprobung und Bewertung medizinischer Produkte eingebunden, um deren Praxistauglichkeit unter realistischen Bedingungen zu überprüfen. Neben diesen Schwerpunkten halte ich mein medizinisches Wissen kontinuierlich auf dem aktuellen Stand und achte auch selbst auf eine gute körperliche Fitness für mögliche Einsätze.
Welche Qualifikationen und Eigenschaften braucht man in der Expeditionsmedizin?
Ein medizinischer Hintergrund – etwa als Notfallsanitäter:in oder als Ärzt:in, insbesondere mit Erfahrung in der Anästhesie oder Intensivmedizin – bildet eine gute Grundlage. Ergänzend dazu sind typische Zusatzqualifikationen aus der Notfallmedizin wie z. B. Kurse in Trauma- oder erweiterten Reanimationsmaßnahmen (ACLS) sinnvoll und hilfreich.
Wer sich darüber hinaus akademisch mit Expeditionsmedizin beschäftigen möchte, stellt schnell fest, dass es in Deutschland bislang keine entsprechenden Studienangebote gibt. Daher habe ich mich entschieden, mein PG Dip in „Wilderness & Expedition Medicine“ an einer britischen Universität zu absolvieren.
Neben der fachlichen Qualifikation spielen aber auch persönliche Eigenschaften eine zentrale Rolle: Belastbarkeit (physisch und psychisch), die Fähigkeit zur Improvisation, Teamfähigkeit und ein ruhiger Kopf in kritischen Situationen sind essenziell. Wer in solchen Umgebungen arbeitet, muss mit Isolation, begrenzten Ressourcen sowie mit Eigen- und Fremdverantwortung umgehen können – oft über einen längeren Zeitraum hinweg und ohne direkte Unterstützung von außen.
Mit welchen medizinischen Notfällen werden Sie bei Expeditionen am häufigsten konfrontiert?
Je nach Umgebung variieren die medizinischen Notfälle, doch bestimmte Arten treten immer wieder auf. Zu den häufigsten gehören Verletzungen wie Verstauchungen, Frakturen oder Wunden verschiedenster Art – meist infolge von Stürzen oder Unfällen im Gelände. Ebenso treten regelmäßig gastrointestinale Beschwerden sowie Zustände wie Dehydratation, Unterkühlung oder Hitzeerschöpfung auf, die durch die jeweiligen Umweltbedingungen begünstigt werden. Schwerwiegende, potenziell lebensbedrohliche Notfälle sind zwar vergleichsweise selten auch auf Expeditionen, erfordern dann jedoch besondere Aufmerksamkeit. Die Behandlung solcher Fälle gestaltet sich deutlich komplexer als im klassischen Rettungsdienst – insbesondere aufgrund erschwerender Umstände wie extremen Wetterbedingungen, unzugänglichem oder anspruchsvollem Terrain und eingeschränkten medizinischen Ressourcen.
Was sind die größten Herausforderungen unter extremen Bedingungen?
Isolation, fehlende oder eingeschränkte medizinische Infrastruktur, extreme Umweltbedingungen und limitierte Kommunikation machen jede Expedition zu einer komplexen organisatorischen und medizinischen Aufgabe.
Entscheidend ist weniger die Bewältigung kleiner einzelner Notfälle als vielmehr die langfristige Einsatzfähigkeit des Teams – körperlich, psychisch und medizinisch.
Dafür braucht es zuverlässiges Equipment und die Fähigkeit, frühzeitig und realistisch über eine Evakuierung zu entscheiden und somit die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten.

Einsatz des cosinuss° Patientenmonitoring während der Trainingseinheit für alpine Notfallmedizin im Rahmen des “BergNotfall 2025”-Kurses (Fotonachweis: Michael Helbing)
Wie sind Sie auf die Technologie von cosinuss° aufmerksam geworden?
Ich wurde durch mehrere Veranstaltungen und zusätzlich durch Berichte auf LinkedIn auf cosinuss° aufmerksam. Das Konzept, Vitalparameter in Echtzeit direkt im Ohr zu erfassen – war für mich hochinteressant. Gerade im Expeditionskontext, wo Mobilität und vor allem geringes Gewicht und Packmaß entscheidend ist, hat mich sofort überzeugt.
Wo und wie haben Sie die Technologie von cosinuss° schon eingesetzt?
Ich habe das Patientenmonitoring von cosinuss° erstmals im Rahmen des Symposiums BergNotfall 2025 und direkt unter realistischen Bedingungen in einer hochalpinen Umgebung eingesetzt. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Erfassung zentraler Vitalparameter wie Sauerstoffsättigung, Pulsfrequenz und Körpertemperatur – speziell im Kontext der Notfallversorgung im Gebirge.
Wie hilft cosinuss° konkret in der Praxis unter eingeschränkten Bedingungen?
Das System von cosinuss° ermöglicht die kontinuierliche und präzise Überwachung zentraler Vitalparameter – selbst unter herausfordernden Bedingungen. So lassen sich medizinisch relevante Veränderungen, etwa eine beginnende Hypothermie oder Veränderungen in der Kreislaufregulation, frühzeitig erkennen und gezielt darauf reagieren. Ein großer praktischer Vorteil ist die kompakte Bauweise des c-med° alpha sowie die einfache Handhabung: Er wird direkt im Ohr getragen, lässt sich schnell anlegen und der korrekte Sitz kann jederzeit unkompliziert überprüft werden.
Welche Vitaldaten sind besonders entscheidend – und wie hilft der c-med° alpha dabei?
Besonders wichtig sind: Körperkerntemperatur, Pulsfrequenz, Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz. Diese Parameter geben frühzeitig Hinweise auf Kreislaufdynamik, und potenziell lebensbedrohliche Zustände.
Der c-med° alpha zusammen mit der °Health App ermöglichen es, die ersten drei genannten Vitalparameter in Echtzeit zu erfassen und gegebenenfalls über Satellitenkommunikation sogar an medizinische Teams/Spezialist:innen außerhalb des Einsatzortes weiterzuleiten.
Wie verändert die Vitalparameterüberwachung das Risikomanagement bei Expeditionen?
Die kontinuierliche Erfassung von Vitalparametern ermöglicht ein besseres Verständnis des Gesundheitszustands einzelner Teammitglieder, präventiv oder als „Monitoring Device“ direkt am Patienten / an der Patientin. Beginnende gesundheitliche Probleme können frühzeitig erkannt und entsprechend darauf reagiert werden. Auch im Rahmen einer notfallmedizinischen Behandlung kann die kontinuierliche Überwachung unterstützend sein. Die gewonnenen Daten fließen in die laufende Beurteilung der Situation ein und können zur gezielten Behandlung eines Problems beitragen oder dem Teamleiter vor Ort den wichtigen IST-Zustand seines Teams übermitteln.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Welches Potenzial hat cosinuss° in der Expeditionsmedizin?
Ich sehe in der Technologie von cosinuss° ein großes Potenzial für die Weiterentwicklung der Expeditionsmedizin. Die Kombination aus tragbarer Sensorik, Echtzeitdaten und digitaler Vernetzung kann die medizinische Betreuung in abgelegenen Regionen spürbar verbessern – vergleichbar mit den Fortschritten, die die Telemedizin in anderen Bereichen bereits ermöglicht hat.
Um das volle Potenzial meiner Ansicht nach auszuschöpfen, sind weitere Feldtests notwendig, die durch Daten sowie Bild- und Videomaterial begleitet werden. Diese sollten auch unter extremen Umweltbedingungen die Zuverlässigkeit der Technologie belegen und dadurch potenzielle Anwender:innen und Kund:innen auf sie aufmerksam machen.
Des Weiteren könnte eine stärkere Integration in bestehende Rettungs- und Kommunikationsstrukturen – idealerweise auch mit der Möglichkeit zur Standortübermittlung in Echtzeit – die medizinische Betreuung von Expeditionen und (RWT) Remote Working Teams nachhaltig verbessern.
Fotonachweis: Michael Helbing